LICHTBRÜCKE
Praxis für seelische Heilung

2024-01-30

GESCHICHTE ÜBER SCHAM

GESCHICHTE ÜBER SCHAM

Es war einmal eine wunderschöne Frau. Sie hatte schwarze Haare, tiefschwarzen Augen, wunderschönen dunklen Teint. Die Frau war taubstumm, konnte weder lesen noch schreiben, sie war nicht verheiratet und sie hatte nie in ihrem Leben eine Periode. Und sie war schwanger. Im 6 Monat wurde dieser biologisch unmöglicher Fakt bei ihr festgestellt. Nach der Geburt des Mädchens fragte man sich: Was jetzt?

Im Kindergarten war es nicht leicht für mich. Die Kinder haben mich ausgelacht, weil ich eine taubstumme Mutter hatte, ich musste von früh morgens bis spät abends da bleiben, in der Pyjama auf einem einfachen Feldbett schlafen, Tabletten schlucken und wurde ganz oft bestraft: entweder wurde ich mit einem Lineal in die Hand geschlagen oder musste ich in einer Ecke knien.

Ein mal hat eine Erzieherin gefragt, was wir am Wochenende machen. Wir wollten mit meiner Mutter zu ihrer Familie, zu ihren Heimatdorf fahren. Aus irgendwelchen Grund sind wir doch nicht gefahren. Als die Erzieherin das erfahrenen hatte, hat sie mich bestraft: sie hat mich eine Lügnerin genannt, dann mich ausgezogen und von der ganzen Gruppe mich geschlagen.

Was hat das mit mir gemacht? Wie hat sich das in meinem Leben gezeigt?

Vor ein paar Jahren war ich auf dem Seminar „Umarme deine Tigerin“ im Odenwald Institut. Als wir nach versteckten Emotionen suchten, zeigte sich so eine Wut in mir, wie ich selten bei mir kannte. Nach über 40 Jahren hatte ich zum ersten Mal Zugang zu dieser Situation und zu Emotionen, die so tief vergraben lagen. Ich habe mich damals so geschämt, dass ich niemanden davon erzählt habe. Niemand in meiner Familie wusste, was im Kindergarten passiert ist. Wahrscheinlich hätte keiner reagiert. Zu dieser Zeit war es üblich Kinder zu bestrafen: ich wurde mehrmals von meiner 9 Jahre älteren Cousine mit dem Gürtel geschlagen.

Jahrelang hatte ich diesen Scham und diese Wut in mir vergessen, versteckt, verdrängt getragen. Erst zum meinem 50 Geburtstag hatte ich diese Situation meine Cousine erwähnt. Sie hat nie darauf reagiert…

Das Gefühl, eine Lügnerin zu sein, die so beschämt, so niedergemacht wurde, hat tief in meinem Innersten Wunden geschafft. Das Schamgefühl wurde geboren, es wuchs und wurde in vielen Situation größer als ich.

Ich hatte auch Zeit gebraucht, um für meine Kinder zu stehen, für sie eine wahre und liebevolle Unterstützung zu sein.

Die Frau ist wahrscheinlich längst verstorben. Ich hatte bei ihr, während Ausbildung zum Kindergartenerzieherin ein Monat lang ein Praktikum gemacht. Ich hatte keine Mut sie mit meinen Schmerzen zu konfrontieren.

Was macht das mit mir JETZT?

Wenn ich an dieser Situation denke, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich als Erwachse, als Mutter nicht reagieren würde. Es ist unvorstellbar für mich, was ich damals erlebt habe. Ich habe zum ersten mal, nach über 40 Jahren auf dem Seminar, über den Missbrauch erzählen und ihn bearbeiten können. Ich konnte verstehen, warum Scham mich beherrscht hat, warum so vieles in meinem Leben nicht möglich war oder warum ich in vielen Situationen so reagiert habe oder gar nicht…

Heute weiß ich: ich bin Mutter und Vater für mich, ich beschütze mich selbst, ich bin die Wiege, in die ich mich hinlegen kann, wenn mir nicht gut geht. Nur ich selbst kann mich umarmen, wiegen, schaukeln, trösten, nur ich kann das kleine Kind in mir so lieben, wie es braucht. 

Ich kann nachvollziehen, wie sich andere Menschen in solchen Situationen gefühlt hatten. Ich war nicht die einzige. So war meine Generation großgezogen. Mit Gewalt, Wut, Erniedrigung. Ich fühle keine Wut gegenüber diese Frau. Sie konnte es nicht anders. Viel stärker waren Wut, Traurigkeit Angst, Scham, die mich begleitet hatten. Man braucht viel Mut und Kraft um sich mit solchen Emotionen zu konfrontieren, die Schmerzen zu spüren, den Täter zu vergeben, loszulassen…

Scham ist das niedrigste Gefühl. Es macht uns klein, stehlt uns Selbstwert und Selbstvertrauen, verfälscht das Selbstbild. Ich kann nicht ehrlich sagen, dass ich das Schamgefühl los bin. Dieses Gefühl, meldet sich auf unterschiedlichen Ebene, um angeschaut und ein Stück weiter losgelassen zu werden. Das ist ein Thema, das ich immer wieder präsentiert bekomme, mit dem ich mal besser umgehen kann und mal habe ich wirklich zu tun. Ich darf das ändern. Ich bin noch nicht schamfrei….

30.01.2024

Ajna - 17:42:10 | Kommentar hinzufügen





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